Zur Startseite

Umweltbildung/Bildung für nachhaltige Entwicklung

  • Home  › 
  • Aktuelles

Präzedenzfall Neusee Bernried

Auswirkung der Absenkung auf die biologische Vielfalt des Neusees

Aufgrund der Absenkung des Bernrieder Neusees im Oktober 2014 wurde innerhalb kurzer Zeit ein wertvolles Biotop zerstört. Die Maßnahme erfolgte vor dem Hintergrund des Hochwasserschutzes zur Überprüfung der Dammsicherheit. Ein hierfür notwendiges Managementkonzept war nicht vorhanden, auch nicht ausreichend Vorlauf um notwendige Evakuierungsmaßnahmen unter professioneller Leitung durchzuführen.

31.01.2015

Behördenvertreter des  Landratsamt WM-SOG und des Wasserwirtschaftsamt Weilheim (WWA) forderten bereits vor einiger Zeit die Eigentümer von mehr als 40 Gewässer im Landkreis WM-SOG auf, die Sicherheit ihrer Stauanlagen (Dämme) zu überprüfen, denen ein mindestens „mittleres Gefährdungspotential“ zugeordnet wurde. Die Gefährdungsabschätzung erfolgte nach Handbuch tGweA. Dazu zählt auch die gesamte Bernrieder Seenplatte. In diesem Zusammenhang steht auch die Fällung von hunderten von Bäumen an, darunter auch Altbäume, z.B. große Buchen am Neusee. Da dieser sich innerhalb der Projektkulisse des BayernNetz Naturmodells „Bernrieder Vorsprung • Baumriesen, Naturerbe und Artenvielfalt“ befindet und massive Baumfällungen u.a. alte Buchen drohen, kümmerte sich die Trägergemeinschaft „Bernrieder Vorsprung“ ebenfalls um diese Angelegenheit.  Zur Trägergemeinschaft zählen neben dem Landesverband Bund Naturschutz (vertreten durch BN Kreisgruppe WM-SOG und BN Ortsgruppe Bernried), die Gemeinde Bernried, die Wilhelmina-Busch-Woods Stiftung (Bernrieder Park) und die TGM GmbH (Christina Voormann). Der Landkreis WM-SOG ist im Herbst 2014  aus der Trägergemeinschaft ausgeschieden, zum Erstaunen der verbliebenen Trägervertreter.

Neben zahlreichen Emails und Telefonaten mit den Naturschutzbehörden, der Gemeinde Bernried und dem Fischereiverein WM (Neusee-Pächter) informierte das Projektmanagement Bernrieder-Vorsprung am 20.10.14  die Bayerische Koordinationsstelle für Muschelschutz (TU-Weihenstephan), dass tausende streng geschützter Muscheln und Krebse durch Absenkung des Wasserspiegels bedroht sind . Darauf erfolgte bereits am 21.10. eine Ortsbegehung zusammen mit dem Biologen Dr. Marco Denic ((LfU-Muschelkoordinationsstelle/TU Weihenstephan) und spontan initiierte Bergungsaktionen am 21./22.10., sowie eine koordinierte Evakuierungsmaßnahme am 28.10. welche die Muschelkoordinationsstelle Bayern in Kooperation mit dem Projektmanagement Bernrieder Vorsprung und dem Fischereiverein Weilheim vornahm und leitete. Es stellte sich heraus, dass eine sehr große Muschelpopulation bestehend aus zwei geschützten Arten, der Großen Teichmuschel (Anodonta cygnea) und der Malermuschel (Unio pictorum), sowie weitere geschützte Arten (z.B. Edelkrebse Astacus astacus) im Gewässer vorhanden sind bzw. waren.

Ein großer Teil streng geschützter Individuen konnte aufgrund von Sammelaktionen engagierter Bürger und durch o.g. Maßnahmen der Muschelkoordinationsstelle  in verschiedene Gewässer umgesiedelt  werden, allerdings ohne vorhergehende Überprüfung der jeweiligen Gewässerökologie. Nach Schätzung des TU-Experten  beläuft sich die Höhe der ursprünglichen Gesamtpopulation auf mehr als 6000 Exemplare, die Höhe der frischtoten Individuen  auf  ca. 10 – 15 % als nachweisbare Folge der Absenkung (noch intakter Weichkörper). Sowohl beide Muschelarten, als auch die Edelkrebse  sind nach der Bundesartenschutz-verordnung streng geschützt, teilweise gehören sie sogar zur den „40 Verantwortungsarten“ (Nationale Biodiversitätsstrategie). 

Somit hätten naturschutzfachliche und artenschutzrechtliche Aspekte bei den notwendigen Maßnahmen berücksichtigt werden müssen. Es ist dem engagierten Einsatz freiwilliger Helfer, dem Fischereiverein WM, Mitgliedern des Gemeinderats und der BN-Ortsgruppe, sowie den Evakuierungsmaßnahmen der Muschel-koordinationsstelle zu verdanken, dass eine wertvolle Muschel- und Krebspopulation nicht komplett verloren gegangen ist. Aber auch starke  Regenfälle zwischen dem 21. und 23.10. sorgten für  günstige Bedingungen. Höhere Temperaturen (Trockenheit) oder Frost hätten für schnelle und deutlich massivere Ausfälle gesorgt. Insgesamt wurden mehr als 3.000 Muscheln, sowie mindestens 1000 Edelkrebse in Ersatzhabitate gebracht. Nach Schätzung des Experten Dr. Denic waren nach Beendigung der Evakuierungsmaßname (28.10.) noch ca. 1500 lebende Exemplare im Schlick vergraben, deren Überleben nicht gesichert ist. Geschwächte Tiere verendeten auf dem Transport, ebenso einige bereits evakuierte Exemplare, nachdem der  Blaselweiher, kurz nach der Rettungsaktion ebenfalls aus Dammsicherheits-Gründen kurzfristig abgelassen wurde. Auch wenn viele Individuen umgesiedelt werden konnten, so ist der Großteil einer besonders wertvollen Population für den Neusee verloren und der Lebensraum vieler Arten zerstört.  In diesem Zusammenhang muss darauf hingewiesen werden, dass nicht nur der Verlust geschützter Muschel- und Krebsarten zu beklagen ist. Ein Gesamtbiotop wie beispielsweise der Neusee Bernried umfasst(e) sehr viel mehr. Hochwasserschutz ist sehr wichtig und die Folgen eines möglichen Dammbruchs müssen professionell überprüft werden. Doch sollte man von Fall zu Fall abzuwägen, welche Schritte tatsächlich angebracht sind. Dem Eigentümer eines Waldweihers dramatische Videoszenen überspülter Kleinstadt-Marktplätze mit wirbelnden Autos inmitten reißender Fluten zu zeigen, als mahnende Demonstration zur Erinnerung an seine Haftungspflicht, ist vielleicht nicht der richtige Weg.

Um den Verlust weiterer Biotope zu vermeiden und betroffene Beteiligte von etwaigen Konsequenzen zu bewahren, wurde vom Projektmanagement „Bernrieder Vorsprung “ seit 21.10. mehrmals sowohl in persönlichen Gesprächen, als auch fernmündlich und schriftlich ein „Runder Tisch“ vorgeschlagen der für mehr Transparenz des Geschehens sorgen sollte. Zukünftige transparente Kommunikation und  Einbindung der Gemeinden, Eigentümer, Pächter, Naturschutzinstitutionen und Ökologen könnte zur Vermeidung solcher Zwischenfälle, wie am Neusee geschehen, beitragen Die Erstellung eines Leitfadens und eines Managementplans, basierend auf den beiden Säulen „Hochwasser- und Artenschutz“ wurde ebenso angeregt. Ist eine Gefährdungseinschätzung und Bewertung nach DIN 19700 bei all den eingestuften Gewässern angebracht, oder könnte es sich bei einigen um eine „Stauanlage von untergeordneter Bedeutung“ handeln? Die Durchführung einer vereinfachten Flutwellenabschätzung und vereinfachte Abschätzung der Gefährdung eines kompetenten Ingenieurs mit fundamentierten Kenntnissen in Hydrologie und Hydraulik, könnte diese Einstufung entweder bestätigen oder zur Rückstufung der Gefährdungsklasse führen, wie angeblich bereits mehrfach passiert ist. Diese Untersuchungen müssen nachvollziehbar vorgenommen und dokumentiert werden. Eine qualifizierte Betrachtung der Auswirkungen eines Dammbruchs auf die Unterlieger muss sich auseinander setzen z.B. mit Fragen wie: Welche Versagensmechanismen kommen in Betracht  und welche Auswirkungen haben diese Versagensszenarien auf das Umfeld, Güter, Personen, Beförderungswege? Für die Kosten muss der Eigentümer / Betreiber aufkommen. Laut Auskunft einiger Ingenieurbüros belaufen sich diese  für o.g. Untersuchungen zwischen ca 3000 bis max. 5000 Euro. Hilfreich für Betreiber kleiner(er) Stauanlagen sind einige neue Publikation u.a. das 2014 erschienene DWA-Merkblatt „M522 „Kleine Talsperren und kleine Hochwasserrückhaltebecken“ und „Hinweise zu „Stauanlagen von untergeordneter Bedeutung“ der Arbeitsgruppe Stauanlagen in Baden-Württemberg, Dezember 2012.

Die Idee, einen „Runden Tisch“ einzuberufen, wurde von  den Behörden aufgenommen und  daraufhin für den 11. 12.14 anberaumt. Vorschläge wurden im Vorfeld vom Projektmanagement Bernrieder Vorsprung in Kooperation mit dem Bund Naturschutz und der Muschelkoordinationsstelle Bayern erarbeitet u.a. ein Organigramm. Dem Projektmanagement Bernrieder Vorsprung wurde einen Tag davor, am 10.12.14, per Email mitgeteilt, dass die Besprechung beim Wasserwirtschaftsamt u.a. mit der TU Muschelkoordinationsstelle (wieder) behördenintern stattfindet und weder Gemeindemitglieder noch Naturschutzinstitutionen teilnehmen sollen. Hartmut Klonz war eingeladen, aber nicht als BN-Vertreter sondern Muschelbeauftragter des Landratsamts. Gesprächsziel sollte ein Arbeitskonzept sein u.a. in Fällen der Dammsicherheit und Damm-bauten bei Teichanlagen, sowie dem weiteren Vorgehen in Fällen wie dem Neusee. Erst im Anschluss der behördeninternen Besprechung sollte durch die Abteilungsleitung entschieden werden, auf welche Weise das Landratsamt das Ergebnis bekannt geben würde.

Nicht vergessen darf man die betroffenen Eigentümer, die teilweise immense Kosten für Dammuntersuchungs- und Sanierungsmaßnahmen stemmen sollen (Beispiel Neusee angeblich bis zu 500.000 Euro)? Dies kann nicht ausschließlich auf Eigentümer-Schultern abgeladen werden. Es stellt sich die Frage, ob diesbezügliche Fördermittel und Budgets zur Verfügung gestellt werden könnten zur Entlastung der Betroffenen, zum Schutz der Bevölkerung und der biologischen Vielfalt. Ein diesbezügliches Konzept “Hochwasserschutz und Biodiversität“ wäre sinnvoll. Denn es ist eine Frage der Zeit, wann der nächste Eigentümer  aus Panik vor etwaigen Haftungsfolgen den „Stöpsel“ zieht. Der Neusee ist zum Präzedenzfall geworden, ein alarmierendes Signal dem Verlust weiterer wertvoller Biotope und dem Zerstören unserer Kulturlandschaft vorzubeugen, ohne das Thema Hochwasserschutz zu vernachlässigen.

Christina Voormann, BN-Mitglied und Co-Trägerin des BayernNetz Natur Projekts:

Bernrieder Vorsprung-Baumriesen, Naturerbe und Artenvielfalt am Starnberger See